Angst ist ein starker Antrieb von Verhalten, natürlich auch in Meetings. Grund genug, mal wieder einen Blick in den vor über einem halben Jahrhundert geschriebenen „Angstklassiker“ zu werfen und über die Aktualität von „Grundformen der Angst“ von Fritz Riemann zu staunen.

Fritz Riemann hat für die vier Grundformen der Angst treffende und eingängige Metaphern gefunden.

Die Grundformen der Angst im Überblick
Metapher Auswirkung Streben nach Angst vor Krankheitsbild
Erdrotation Alles dreht sich um sich selbst Erhalt und Ausformung des Individualismus‘, Abgrenzung Abhängigkeit, Ich-Verlust, ausgeliefert sein schizoid
Sonnen-umkreisung Die Sonne umkreisen, umarmen, umschließen, sich ihr zuwenden Hingabe, in Kontakt treten, anderen öffnen Isolation, Einsamkeit, Verlust der Geborgenheit depressiv
Schwerkraft Alles zieht zum Mittelpunkt, bleibt stabil Berechenbarkeit, Stabilität, Dauer, langfristiges Planen, Erbauen Wagnis, Ungewissheit, Veränderung zwanghaft
Fliehkraft Alles dringt nach außen, gerät in Bewegung, verändert sich Veränderung und Entwicklung Einengung, Begrenzung hysterisch

 

Nur wenn die vier Impulse im Einklang sind, kann die Erde und das Leben darauf existieren. Dementsprechend sollte es dem Menschen gelingen, jeweils die beiden Gegensatz-Paare (Rotation und Umkreisung, Schwerkraft und Fliehkraft) und deren Ängste und Streben in ein möglichst harmonisches Gleichgewicht zu bringen. Dass dies bei den meisten Menschen erstmal nicht so ist, dafür sorgen frühkindliche Erfahrungen. Ein Kleinkind im Krankenhaus, ein Säugling, der alleine ist und sich von seinem Standpunkt aus in Todesgefahr wähnt – verlassene Säugetier-Babys sind hilflos und dem Tode geweiht. Kleiner Hinweis: Elefanten, Zebras, Affen, Katzen sperren ihren schreienden Nachwuchs nicht im Kinderzimmer weg. Ausnahmesituationen wie Krieg, Katastrophen, Misshandlungen können auch bei Erwachsenen, die in der Regel über ein weitaus bessere Angstbewältigungs-Strategien verfügen, Ursache für starke Ausprägungen der Persönlichkeitsstruktur in die eine oder andere Richtung sein.

Ängste nehmen, Ängste nutzen

 

Können wir das im Meeting therapieren? Nein, können wir und sollten wir nicht. Wie wäre es aber mit ein wenig Verständnis? Vielleicht indem wir in der einen oder anderen „störenden“ Verhaltensweise versuchen, das Schützenswerte im Anderen zu erkennen? Und ihn darin unterstützen? Und von den Gedanken als Gruppe profitieren.

Satt: Mayer stört immer das Meeting, er ist ein schizoider Querulant. Besser: Danke Mayer, dass Du unsere kritische Stimme bist. Wir wollen uns einen wie Dich nicht nur leisten, wir brauchen Dich und Dein Mut zur eigenen Meinung – auch wenn wir uns gelegentlich anders entscheiden.

Statt: Auf Everybody’s-Darling-Müller können wir gerade mal verzichten, der hängt sein Fähnchen eh nach dem Wind. Besser: Danke Müller, dass Du Verbindung schaffst und Harmonie ausstrahlst, deine eigenen Interessen zurück und dich in den Dienst der Sache stellst und uns so auch ein Stück zusammen hältst. Aber Konflikte können auch produktiv sein.

Statt: Schulze, der hysterischer Hektiker, macht uns eh nur verrückt! Besser: Danke Schulze, Du bist der Treibsatz unserer Gruppe. Du forderst uns, schaffst, meist kreative, Unruhe und schiebst uns aus der Komfort-Zone – auch wenn wir oft nicht so schnell folgen, wie Du es gerne hättest.

Statt: Wagner, der zwanghafte Bedenkenträger hält nur den ganzen Laden auf! Besser: Danke Wagner, Du erinnerst uns daran, dass der erste Schritt zur Veränderung ist, uns zu überlegen, was wir nicht verändern wollen, anerkennen, was ist. Und dass wir uns vor der Veränderung einen soliden Rahmen aus Werten bauen, der die Veränderung stabilisiert. Auch wenn wir manchmal in deinen Augen zu schnell losrennen, denn manche Dinge ergeben sich unterwegs.

Foto: The Official CTBTO Photostream